Skip to content Skip to footer

Irena Habalik – Aus dem Rahmen fällt ein Bild

ISBN: 978-3-945177-54-9 Category: Product ID: 7191

10,00

Additional information

Die Themen in Habaliks Gedichtsammlungen sind mannigfaltig. Ihre Lyrik dreht sich um den Jahreskreislauf, die Liebe, Farben, Menschen auf der Flucht etc. Aber immer wieder stellt sie das Gedicht bzw. das Dichten selbst in den Mittelpunkt ihrer Verse. Irena Habalik erweist sich als feinfühlige, alle Bedeutungen eines Wortes ausreizende Dichterin.

Alfred Strasser, in der Zeitschrift „Krautgarten“

Wesentlich für Habaliks Poesie ist das spielerische bzw. ironische Element. Wenn man sich in diese gewitzten Wort- und Weltspiele vertieft, wirken sie wie ein humoristisches philosophisches Kompendium. Die Schwächen der Menschen und der Gesellschaft werden verdeutlicht und entlarvt. Doch hinter allen Metaphern, Aussagen, Beschreibungen bleibt die letztlich nicht zu fassende Rätselhaftigkeit der menschlichen Existenz. 

Lev Detela, in der Zeitschrift „LOG“

EIN DICHTES POETISCHES KOORDINATIONSSYSTEM

Irena Habalik, Aus dem Rahmen fällt ein Bild. Gedichte. FPV – Free Pen Verlag. Bonn 2017. 124 Seiten.

Irena Habalik liebt Gegensätze und Irritationen. Schon der Titel ihrer neuen Lyriksammlung Aus dem Rahmen fällt ein Bild verdeutlicht ihre Neigung zur Umformung des Gewöhnlichen ins Ungewöhnliche. „Aus dem Rahmen fallen“ bedeutet auch „von der Regel abzuweichen“. Tatsächlich werden die besten Texte dieser Sammlung durch die Fülle der eigenartigen Wortkomponenten beziehungsweise Bildablagerungen in ein neues Bezugsfeld versetzt.
Die Dichterin inszeniert mit widersprüchlichen Wortverbindungen und ihren ironischen Verdrehungen auch inhaltlich neue Formen der lyrischen Aussagen, die sich gegen die Klischees der gesellschaftlichen Kompromisse wenden. Durch diese gekonnt eingesetzten Widersprüchlichkeiten entsteht ein dichtes Koordinationssystem mit neuen Bedeutungseinheiten.
Gleich im ersten Teil des Buches mit dem Titel Nicht allein bist du auf der Flucht thematisiert die Dichterin die aktuelle Flüchtlingsproblematik und mit ihr verbundenen Traumatisierungen wegen des Verlustes der ehemaligen Heimat. Sie, eine deutschsprachige Autorin mit polnischen Wurzeln, die 1974 nach Österreich gekommen ist, stellt die Flucht in einen größeren universellen welthistorischen Kontext, weil, wie sie sagt, „wir alle flüchten mit / seit gestern seit Jahrhunderten / nach Norden Süden in die Mitte“ (S.9). Die Flucht und Vertreibung ist der ewige Zustand der Geschichte der Menschheit und wir sind die „gefallenen Engel ewigen Juden“. Dieses Schicksal betrifft jeden und alle, jede Frau („ich eine blonde Negerin“), jeden Mann („du mit den Augen eines Fisches / ertrunken“).
Es herrscht große Unsicherheit:

Wir alle suchen die Weite
aber am liebsten
fliehen wir vor uns selbst

(Seite 9)

Die Problematik der „Ausgewanderten“ ist zweideutig, oft eine „contradictio in adjecto“:

und während sich das Auge
und das Ohr begeistern
an neuen Formen

spricht sie
die eine Sprache
in der anderen
und es versteht keiner

(Seite 19)

Im längeren Gedicht Heimaten werden die Gegensätze zwischen der Fremde und der ehemaligen ersten Heimat in einen neuen Erkenntnisrahmen gesetzt:

Du liegst im Gras, grün betupft, libellengestreift,
du träumst: wie das Gras sein, überall die Heimat haben
und glücklich keine haben.

(Seite 22)

Mehrere Heimaten zu haben ist nämlich eine charakteristische und vernünftige Perspektive für den zukünftigen Menschen in einer globalen und zugleich toleranten Welt, die in den „Zugereisten“ keine Gefahr, sondern gesellschaftliche und kulturelle Bereicherung entdecken wird.
Im zweiten Zyklus Happy beginning entwickelt die Dichterin eine aus eigener Praxis des Schreibens entstandene Poetik, um das Rätsel des Gedichtes beziehungsweise der Poetik ontologisch zu enträtseln. Den Leser überrascht sie mit einem ganz neuen Ton. Im Gegensatz zu den Literaturtheoretikern, die die Struktur des Gedichtes mit Hilfe langer Aufsätze wissenschaftlich zu erklären versuchen, springt Irena Habalik auf eine neue Ebene, wo sie die Frage Was weiß ein Gedicht (Titel des ersten Gedichtes im Zyklus) in mehreren Texten spielerisch und verschnörkelt aus eigener Erfahrung als Dichterin beantwortet. Das Geheimnis und die Magie der Dichtkunst verbindet sie mit einer Fülle der Bilder, Farben und Töne, durch die der Prozess der Entstehung des Gedichts verdeutlicht beziehungsweise erfahrbar gemacht wird. Diese Texte sind Liebeserklärungen an das Gedicht, verinnerlicht und musikalisch, gelungene poetische Landschaften, mit vielen Bezügen zu den Traditionen der Dichtkunst und der Moderne, oft mit Reflexionen und Referenzen, die sie mit Werken und Aussagen anderer Autoren und bildender Künstler verbinden. Die Autorin liebt es, ihre Texte spielerisch umzuformen und sie als Experimente beziehungsweise als Spiele mit Worten und Gedanken, in denen sich ein Vers möglicherweise als „eine Vers. Suchung“ entpuppt (S. 28), zu präsentieren. Es sind dies eben „Zeilen die nichts ahnen / nichts behaupten sich den Weg ins Freie bahnen.“ (Seite 28).
In Happy beginning mit der Frage Was weiß das Gedicht? wird das Gedicht personifiziert, fast körperlich als eine lebende Gestalt dargestellt. Zugleich aber entblößt es die Autorin durch verschiedene Kunstgriffe in einer Art von Oxymora (Es wird dann aus Nein / ein Vielleicht / und aus dem Nichts / erklingt ein Gedicht, S. 43) in paradoxe Gegensätze, in denen Verschiebungen und Überlagerungen eine neue Transparenz beziehungsweide die Rekonstruktion der gegebenen Gegebenheiten bewirken können.
Besondere Aufmerksamkeit widmet Irena Habalik den Farben, was vor allem im dritten Abschnitt des Buches sichtbar wird. Das – Gedichte –Schreiben ist eigentlich auch malen und komponieren. Die Autorin, die sich auch als Malerin betätigt, gibt ihren Worten manchmal einen zusätzlichen Farbklang in verschiedenen Schattierungen zwischen dem Königsblau und Graubraun bis zum Rot oder Grün. So entstehen mit Hilfe der Betrachtung der Bilder von verschiedenen Maler (z.B. von Jean Bazaine oder Tizian) die verinnerlichten Landschaften in mannigfaltigen Variationsformen. Diese Gedichte sind oft mit einer sensiblen inneren Wortmusik erfüllt. Es verwundert dabei nicht, dass die Lyrik von Irena Habalik manchmal rätselhaft erscheint, doch man braucht in der Dichtkunst nicht alles zu verstehen und kategorisieren.
Auch die Texte des Zyklus Ein Gedicht hängt an der Wand bewegen sich in einem Spannungsverhältnis zwischen den Beschreibungen der im alltäglichen Leben erscheinenden Begriffe und Zustände und persönlichen Befindlichkeiten der Autorin und dem Verfremden dieser Formen in die verinnerlichten Komplexitäten, hinter denen keine Deutungen mehr möglich sind:

Ein Gedicht
hängt an der Wand

Nichts will es
antworten
keinen Rat hat es
will hängen
an der Wand
wie ein Bild

(Seite 79)

Die Verse von Irena Habalik sind mannigfaltig und breit gefächert, was auch in der fünften und letzten Abteilung Die perversen Perser zum Vorschein kommt. Warum pervers, fragt sich ein Anonymus im Gedicht Pervers und betont, dass wir einmal schon dahinter kommen werden.
Es ist klar, dass hier neue poetologische Aspekte zur Darstellung gelangen. Viele Texte wirken grotesk, surreal, verspielt, humoristisch oder ironisch, auch aphoristisch, mit auf den Kopf gestellten Sprichwörtern garniert. Die persönlichen und gesellschaftlichen Widersprüche und Schwächen, die in verschiedenen Varianten in diesen Gedichten zum Vorschein kommen, verdeutlichen auch den destabilisierenden Zustand der Gegenwart mit seinen gesellschaftlichen und politischen Unordnungen. Die Gedichte von Irena Habalik sind eigentlich auch allegorische Bilder, die Entfremdung von Mensch und Sein zu verdeutlichen versuchen. Es ist leider noch nicht „aller Tage Engel“ (Seite 114, Stimme, Nacht, Stimme), wie in einem Gedicht zu lesen ist.

LEV DETELA
Lev Detela ist Schriftsteller und Kritiker in Wien.
Die Rezension erschien in LOG – Zeitschrift für internationale Literatur (Nr. 157, Wien, 2018).